Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Self-ID

Das FrauenAktionsBündnis FAB gibt eine Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften ab.

Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und des Bundesministeriums der Justiz



Der Gesetzesentwurf zum sogenannten Selbstbestimmungsgesetz steht in seinem Inhalt und Grundgedanken grundrechtlichen Verpflichtungen entgegen und erschwert die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Der hartnäckigen Arbeit von Frauen haben wir als Frauen ein Grundgesetz zu verdanken, in dem nicht nur die formale Gleichstellung von Frauen und Männern festgeschrieben wurde (d.h., dass Frauen durch Gesetze nicht ungleich behandelt werden dürfen), sondern auch die Verpflichtung des Staates, auf noch immer bestehende Nachteile für Frauen aktiv beseitigend hinzuwirken. Diese Nachteile haben sich in den letzten 30 Jahren nicht bedeutsam genug geändert. Ungleichbehandlung, ungleiche Chancen, sexuelle, körperliche und verbale Gewalt, sexuelle und reproduktive Ausbeutung sind allesamt noch immer Alltag für Mädchen und Frauen in Deutschland. Nun soll mit dem Selbstbestimmungsgesetz (besser: Selbstidentifikationsgesetz) ein Gesetz implementiert werden, das perspektivisch die Erfassung und Beseitigung dieser Nachteile verunmöglichen wird.

„Frau“ ist eine körperbezogene Kategorie, und muss dies auch sein, wenn ernstliche Bestrebungen der weiterhin bestehenden Benachteiligung von Frauen entgegengehalten werden sollen. Die sozial untergeordnete Rolle der Frau wird mit dem Frauenkörper begründet, spezifisch mit der reproduktiven Rolle der Frau als diejenige, die Kinder bekommen kann. Würde die materielle Kategorie „Geschlecht“ durch das nicht definierbare Konzept einer „Geschlechtsidentität“ ersetzt, wäre ein subjektives, wandelbares Gefühl, dem einen oder anderen Geschlecht anzugehören, der neue Bezugspunkt für alle anderen Gesetze und gesellschaftlichen Bereiche, für die das Geschlecht relevant ist. An ein rein internes Konstrukt oder ein persönliches Verständnis von Geschlechterstereotypen kann keine rechtliche Kategorie, geschweige denn Rechte und Pflichten geknüpft werden.

Das Grundgesetz verpflichtet sich der materiellen Gleichstellung/Gleichbehandlung als Ziel, auf welches aktiv hingearbeitet werden muss.

Genauer heißt das:

  1. Der Ist-Zustand muss dauerhaft im Hinblick auf dieses Ziel überprüfbar sein; dazu benötigen wir aussagekräftige Statistiken, um geschlechtsbasierte Ungleichheiten überhaupt zu erkennen und benennen zu können.
  2. Ein Soll-Zustand muss formuliert, darauf hingearbeitet und überprüft werden können, z.B. mittels Gleichstellungsplänen, Quotenregelungen, aber auch durch den Schutz vor männlicher Gewalt. Konkret berührt dies Stipendien, Preise und Positionen für Frauen, Frauenquoten, Frauensport, Frauenhäuser, Frauengefängnisse, Recht auf Behandlung durch Ärztinnen, Pflegepersonal usw. Es muss nicht nur staatlich eine Verbesserung gefördert, sondern konkret auch Benachteiligung, inklusive Gewalt gegen Frauen, verhindert und/oder beseitigt werden.

Diese Pflichten werden durch das geplante sogenannte Selbstbestimmungsgesetz signifikant erschwert. Eine Umdefinition von „Geschlecht“ und „Frau“ verfälscht geschlechtsbasierte Statistiken auf lange Sicht und beraubt uns dringend notwendiger materieller Kategorien. Als Beispiel ist der Paragraph bezüglich Quoten und Frauenförderung anzuführen: Indem Frauenquoten für biologische Männer geöffnet werden, die weder ein tatsächliches noch ein vom Umfeld projiziertes Risiko haben, schwanger zu werden, die nicht die gleiche Sozialisierung zur untergeordneten Rolle erlebt haben und von denen nicht erwartet wird, sich doch lieber zuhause um Kinder zu kümmern, wird der Zweck der Quote verfehlt und die Quote selbst obsolet, ohne das Problem der geringen Repräsentanz von Frauen in Politik und Führungspositionen zu lösen.

In Bezug auf Frauenräume bedarf es Rechtssicherheit. Der Verweis auf das Hausrecht der BetreiberInnen dieser Räume ist unzumutbar. Bereits vor Erlass des Gesetzes sind diese über die Grenzen des Hausrechts und die konkrete Anwendung des AGG verunsichert. In Situationen, in denen eine schnelle Entscheidung getroffen werden muss, wird die (durch den Gesetzesentwurf durchaus berechtigte) Angst vor einer AGG-Klage schwerer wiegen als die Pflicht, Kundinnen vor Eingriffen in die Intimsphäre oder einer potenziellen Retraumatisierung zu schützen. Im gesellschaftlichen Diskurs ist die Frage nach geschlechtergetrennten Räumen eine hart umstrittene und offensichtlich wichtige und schwerwiegende Frage, die nicht in die Hände einzelner, nicht dafür ausgebildeter BetreiberInnen gelegt werden kann. Auch ist es nicht ausreichend, ohne Leitlinien auf den Einzelfall zu verweisen. Dies ist ein Sich-aus-der-Verantwortung-Ziehen des Gesetzgebers, der wohl zwar erkennt, dass das Bedürfnis nach solchen Räumen existiert und Berechtigung hat, nicht aber bereit ist, es zu schützen.

Auch verhindert das im Entwurf enthaltene Offenbarungsverbot gesellschaftlichen Diskurs. In anderen Ländern mit Self-ID-Gesetzen wurden bereits Feministinnen zu Geldstrafen verurteilt. Die Aussage, „das ist ein Mann“, wurde für sie zum Verhängnis. Die UN-Sonderbotschafterin zu Gewalt gegen Frauen, Reem Alsalem, warnt und betont, dass Einschränkungen der Art, wie Frauen über ihre Rechte bezüglich Geschlecht und Geschlechtsidentität sprechen dürfen, Zensur darstellen.
Die dringend notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Geschlecht, Geschlechtergerechtigkeit, Geschlechtsidentität, autonome Frauen- und Lesbenräume und allem, was dazugehört, wird damit signifikant erschwert bis verhindert, wenn Beteiligte Sorge haben müssen, für ihre Meinungsäußerungen oder Tatsachenbehauptungen hohe Geldstrafen zahlen zu müssen.

Zusätzlich zu diesen gravierenden Folgen stellt ein Gesetzesvorhaben, das Kindern ab 14 Jahren eine freie Wahl des Geschlechtseintrags ermöglichen will, Eltern und ihre Kinder vor besonders schwere Herausforderungen. In Deutschland wächst die Anzahl von Jugendlichen, die ihr Geschlecht ändern lassen wollen, rapide: Die große Mehrheit von ihnen sind Mädchen, vor allem auch lesbische Mädchen, denen suggeriert wird, dass ihr Begehren als frauenliebende Frau bedeutet, im falschen Körper zu sein. Zum einen signalisiert der Staat mit einer Selbstbestimmungsregelung bezüglich des Geschlechtseintrags pubertierenden Mädchen, die sich in einer psychischen Krise und Umbruchphase befinden, dass ihre Geschlechtszugehörigkeit einfach zu ändern sei. Zum anderen ist eine Personenstandsänderung keineswegs ein „neutraler“ Akt, sondern erhöht auch nach Ansicht von Kinder- und JugendpsychiaterInnen das Risiko, dass diese Mädchen irreversible, komplikations-anfällige medizinische Maßnahmen an sich durchführen lassen werden, in der Hoffnung, ihrer Notlage zu entkommen. Wir verlangen hingegen eine geschlechterrollenkritische, explorative therapeutische Begleitung für alle Mädchen und Jungen, die an den engen Boxen ihres jeweiligen Geschlechts verzweifeln. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der Kinder frei von Geschlechterzwängen aufwachsen und sich stattdessen als volle Persönlichkeiten frei entfalten können.

Wir fordern die Bundesregierung und alle ParlamentarierInnen auf, Mädchen zu schützen, für die Rechte von Frauen einzustehen und den Gesetzesentwurf zum sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“ abzulehnen.